Wir sind für dich da!

Diesen Satz lese ich derzeit mehrmals täglich. Er kommt nicht von Freunden oder Nachbarn. Nicht, dass die nicht da wären. Aber diese Botschaft kommt aus dem Marketing. Der Onlinehandel teilt mir mit, dass sie in schweren Zeiten dennoch alles tun werden, damit ich weiter shoppen kann. Beziehungsmarketing nennt man so etwas. Mit Hilfe der Krise eine emotionale Bindung aufzubauen, halte ich eher für eine sehr eklige Methode. Wenn dann wenigstens eine %-Aktion damit verbunden wäre. Aber nix (okay, wenige Ausnahmen). Muss der Onlinehandel aber auch nicht. Vermutlich shoppen gerade so einige Leute online. Denn sie sehen ja nicht, wer da alles hinter den Kulissen in die Hände spucken muss, damit das Paket an der Haustür ankommt. E-Commerce hat inzwischen signifikante Marktanteile und jetzt, da der stationäre Handel schließen musste, kippt das Gleichgewicht weiter. So lang die Kauflaune der Leute noch anhält. Sofern sich die Situation auf die Gehälter auswirkt, wird das wohl auch nachlassen.

Ich wiederum kann ich ja gleich mal meine Ausmistaktion weiterführen und ein paar Werbenewsletter abbestellen. 😈 Marketingfinten wirken bei mir eh nicht. Außer, dass ich dann irgendwann weiß, in welchem Turnus es Rabattaktionen gibt und nur noch selten zum regulären Preis kaufe.

Andere Retailer bieten tatsächlich gerade Rabatte oder verlängerte Retourenzeiten an. Naja, muss jeder selbst wissen, ob man die Logistiker auf Trab hält. Die Wirtschaft bedankt sich, aber ist Solidarität nicht auch, dass man derzeit jeden entlastet, der nicht unbedingt für die lebensnotwendigen Bereiche gebraucht wird? Gut, mancher wird eher arbeiten wollen als Lohneinbußen zu haben oder schlimmer noch, seinen Job zu verlieren. Aber während im Lebensmittelhandel gerade die Logistik qualmt, könnten Firmen aus weniger gefragten Bereichen ja zum Beispiel Mitarbeiter ausleihen? Gab es in der Vergangenheit auch schon, zum Beispiel bei einem Hersteller von bekannten Taschenmessern.

Auch die Berufsnetzwerke quellen über von Posts, wie Unternehmen ihre Dienstleistung auf die aktuelle Situation übersetzen. Besonders schmunzeln muss ich teils über die vielen stolzen Meldungen, wie toll Homeoffice funktioniert. Gut, ich arbeite seit Jahren mit großen dezentralen internationalen Teams und somit sind alle damit verbundenen Herausforderungen und verfügbaren Lösungen Teil meiner Arbeit. Aber offensichtlich ist das doch für sehr viele immer noch Neuland. Besonders das Vertrauen in die Mitarbeiter, selbständig Probleme zu lösen und zuverlässig ihre Arbeit zu erledigen, scheint ein Thema zu sein. Das ist schade, denn letztendlich ist es ja die Aufgabe der Führung, die Leute dort hin zu bringen. Aber auch hier ist Mikromanagement oder fehlendes Wissen, wie "Modern Leadership" funktioniert ein häufiges Problem.

Homeoffice kann so vielem Vorteile haben. Besonders in der aktuellen Klimadebatte ist dies ein Feld, wo wirklich Emissionen gespart werden können und überlastete Verkersnetze profitieren könnten. Außerdem macht es Familie und Beruf sehr viel leichter vereinbar. Besonders wenn es auch noch flexible Arbeitszeiten gibt.

Als Gegenargument wird angeführt, dass das Teambuilding und Beziehungsmanagement dann leiden würde. Das kann ich nicht bestätigen. Meine Teams mit manchmal über 100 Mitarbeitern saßen über bis 75 Länder verteilt. Manche Zuhause, manche in Büros. Manche Menschen sind sich nie Auge in Auge begegnet. Dennoch hatten wir bei der Bewertung des Teamgefühls immer hohe Punktzahlen. Weil es trotzdem Strukturen wie Teammeetings, Stand-Ups, etc. gab und die Disziplin dort teilzunehmen auch eingefordert wurde. Weil jeder klare Aufgaben, Liefertermine und Verantwortungen hatte. Weil wir extrem am Thema Transparenz und Kommunikation gearbeitet haben. So zum Beispiel ständig aktualisierte Organigramme, Reports, etc. für alle einfach zugänglich gemacht und Abhängigkeiten aufgezeigt haben. Mehrere Mitarbeiter sagten, sie fänden das Arbeiten in dem großen dezentralen Teams einfacher, als in ihren kleinen lokalen Teams. Weil es klare Strukturen und Ziele gab.

Hört sich dann alles recht unflexibel an? Ist es gar nicht. Denn durch stark vernetztes Arbeiten kann man nicht nur schnell die für das Thema richtigen Kollegen identifizieren, sondern es bauen alle Beteiligten auch weitere Expertise auf. Zum Beispiel Problemlösungskompetenz. Die besten Teams sind immer die, denen es darauf ankommt Probleme schnell und effizient zu lösen, anstatt krampfhaft zu versuchen keine Fehler zu machen. Ein Team, welches gelernt hat, dass man zusammen Hürden nehmen kann wird offener und hilfsbereiter zueinander, weil Fingerpointing kein Thema mehr ist. Hierdurch bauen sich dann auch Silos ab und man fühlt sich als Team für das Gesamtergebnis verantwortlich und weiß, wie die eigene Leistung ins gesamte Bild passt und was es für Auswirkungen auf andere hat, wenn man selbst nicht liefert. Das spornt an.

Hört sich wie ein Märchen an? Ist es nicht, sondern seit vielen Jahren Realität in meinen Projekten.

Das Umdenken dauert bestimmt eine Weile. Aber ich habe in meinen Projekten in den letzten Jahren gesehen, dass der Effekt schnell einsetzt, wenn man konsequent die Basis dafür legt. So habe ich fast nie die einkalkulierten Reisekosten verbraucht. Denn anfangs werden diese noch von den Teams gefordert. Dann merken sie, es geht auch so. Und auch wenn viele generell nichts gegen Geschäftsreisen haben, so ist keiner böse, wenn man sich den Stress nicht noch zusätzlich antun muss und ohne Hetze von Bahn zu Flug zu Hotel auch ruhiger und effizienter arbeiten können.

So sparen wir nicht nur Emissionen, sondern auch unnötigen Stress und Überstunden. Besonders stark sieht man den Effekt, wenn man in Folgeprojekten mit dem gleichen Kernteam wieder arbeitet. Reiskosten? Deutlich gesunken. Den Auftraggeber freut es auch.

Natürlich braucht es auch die richtigen Leute dafür. Aber hier ist wieder die Führung gefragt, die Teams entsprechend aufzubauen. Dazu gehört neben der Personalauswahl auch die Ausstattung mit der richtigen Technik. Denn nichts demoralisiert mehr, wenn ständig Leute aus dem Call fliegen oder der Laptop ständig abstürzt. Gute Headsets und einfach zu bedienende Kommunikations-Software gehören ebenso dazu. Auch Ausstattungs- und Zugangsprofile für die jeweiligen Rollen helfen Mitarbeiter schnell und vollständig zu boarden.

Ich bin gespannt, wie das Fazit der Unternehmen ausfällt, wenn wir irgendwann wieder in den normalen Alltag gehen.

Hier ist es unterdessen deutlich stiller geworden (von meinen Höllennachbarn abgesehen). Der Verkehrslärm ist fast ganz weg (dafür umso mehr Mopeds, die ihre Motoren aufheulen lassen müssen), weiter nur sehr vereinzelte Flugzeuge am Himmel. Dafür umso mehr Rasenmäher und Heckenscheren. Neben Gartenarbeiten hatten die Leute wohl auch angefangen ordentlich auszumisten. Die Betriebshöfe wurden überrannt. Nun sind diese aber auch geschlossen.

In manchen Ländern treffen sich laut Presse zig tausend Menschen und beten. Trotz Verboten von Massenversammlungen. Speziell selbst ernannte religiöse Führer rufen auf, sich den Gesetzen zu wiedersetzen. Was stimmt mit diesen Typen nicht? Manche werden wohl nun bald feststellen, ob sich das Beten gelohnt hat. Oder um es etwas fieser auszudrücken, manche Probleme lösen sich von allein... Sorry, aber für so etwas habe ich null Verständnis,

Hierzulande machen sich unterdessen die Bauern Sorgen, dass vorwiegend aus Osteuropa stammende Saisonkräfte nicht zur Spargel- und Erdbeerernte kommen können. Hier könnte man ja vielleicht mal drüber nachdenken, ob Menschen, die von Lohnkürzungen betroffen sein werden sich etwas ohne Konsequenzen dazu verdienen dürfen? Mit entsprechendem Abstand natürlich. Pragmatische Lösungen für einen kurzen Zeitraum dürften jetzt kurzfristig wohl das Beste sein.

Denn wenn man sieht, wie viele Idioten nach wie vor die Lage nicht ernst nehmen, wird es noch etwas dauern bis die Normalität zurück kehrt. Das Ordnungsamt ist immer noch sehr beschäftigt damit Menschenansammlungen in Innenstädten und Parks aufzulösen. Teils werden die Mitarbeiter sogar beschimpft. Da fällt einem nix mehr zu ein. Oder doch, wir haben doch gerade einige leer stehende Turnhallen. Da können die Leute ja mal ein vierwöchiges Dauertreffen veranstalten. Türen werden allerdings abgeschlossen. Alter...

So, genug Medien für heute. Sonst krieg ich schlechte Laune.

Viele Grüße aus Ruhr York

Pottnudel


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