Bombenstimmung

Da wollte ich gestern endlich mal zum Möbel-Schweden und nach einer Matratze schauen, die mir
empfohlen wurde. Und da steht die Feuerwehr vor der Zufahrt und lässt niemanden rein. Der Parkplatz war auch komplett leer. Google wusste Bescheid. Es war mal wieder eine Bombe gefunden worden.

Eine was?? Ja, bei uns im Pott ist das leider keine Seltenheit. Auch wenn die Region hier nicht allein mit dem Problem steht, bei uns wird so ziemlich jede Woche ein Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg gefunden. Meist bei Bauarbeiten. Und der Witz ist, die Bomben liegen  nicht irgendwo in der Pampa, sondern auf bebauten Grundstücken. Teils unter Häusern. Aber auch gern mal verscharrt in Parks oder auf Äckern.

Auch viele Jahre nach Kriegsende ist die damit verbundene Gefahr noch sehr real. Sobald ein Blindgänger gefunden wird, muss  die Evakuierung eingeleitet werden. In einem bestimmten Umkreis darf keiner mehr in den Häusern bleiben. Autobahnen  und Bahnstrecken müssen gesperrt werden. Da kommen teils tausende Menschen in Bewegung, bzw. ins Stocken. Der Verkehr bricht zusammen (mehr als sonst schon). Alte und Kranke müssen transportiert werden. Und je nachdem, zu welcher Uhrzeit die Bombe gefunden wurde und wie lang die Evakuierung dauert, kann es da schon mal sehr spät werden. Zumal auch nicht jeder freiwillig sein Heim verlässt.Manchmal muss die Polizei energisch werden.

Vor ein paar Jahren wurde in der Nähe der JVA gebaut und mehrfach Kampfmittel gefunden. Hier musste nur jeweils die Hälfte der Insassen umziehen, da Teile des Gebäudes als Bombensicher galten. Okaaaay....

Dann wiederum wurde das Gelände des alten Finanzamts bebaut. Hier muss man dazu erklären, das Gebäude war schon lange abgerissen und nebenan hatte mein damaliger Arbeitgeber gebaut. Quasi 10 Meter nebenan. Und wir nutzten das brach liegende Gelände mehrere Jahre als Parkplatz. Dann rollten die Bagger an. Mit ihnen der Kampfmittelräumdienst. Also hatte man schon einen konkreten Verdacht. Dieser bestätigte sich schon am nächsten Tag. Mein Chef warnte mich rechtzeitig, so dass ich vor dem Beginn der Evakuierung losfahren konnte. Kollegen, die nicht das Glück hatten, brauchten später Stunden. Teils durften sie ihre Autos gar nicht mehr aus der Tiefgarage holen, da zu nah am Fundort.

Die Bombe wurde entschärft. Der Kampfmittelräumdienst zog ab. Am kommenden Tag, ich hatte gerade Telefonkonferenz mit einem großen Kunden, klopft wieder mein Chef an. Die nächste Bombe war gefunden worden. Diese war wohl nicht mehr erwartet worden. Der Kunde machte große Augen, als ich das Gespärch mit den Worten beendete: "Wir werden wegen einer Bombenentschärfung evakuiert. Machen Sie sich keine Sorgen, hatten wir gestern auch schon." Der Kunde sitzt im Ausland und unsere Bombensituation war im unbekannt.

Auf dem Weg zum Parkhaus kam ich am Baggerfahrer vorbei, der wohl beide Bomben gefunden hatte. Seine Worte: "Ich sach dir, ich brauch jetzt erstmal Urlaub."

Es vergingen ein paar Tage, wir schlossen Wetten ab, wann die nächste Evakuierung kommt. Und dann kam sie. Wieder während einer Kundenkonferenz. War klar. Ich also ins Büro, Sachen schnappen, bevor die Völkerwanderung beginnt. Meine sämtlichen Kollegen hängen aus dem Fenster. Ich schaue auch raus und sehe ein kleines schmutziges etwas. Eine Luftmine.. Direkt vor meiner Nase. Direkt neben meinem Fenster. Dort, wo ich jahrelang parkte. Nur wenige Meter entfernt vom Eingang des Luftschutzbunkers, der ebenfalls freigelegt worden war. Dort, wo viele Jahre das Finanzamt stand. Nicht auszudenken, was das Ding hätte anrichten können...

Meist können die Bomben entschärft werden. Manchmal (und zunehmend oft) ist der Zünder so verrostet, dass die Bomben gesprengt werden müssen. Auch gab es so nette Exemplare mit Zeitzündern, die losgehen sollte, wenn die Leute aus den Bunkern kommen. Der Mensch ist eine Bestie...

Wenn also gesprengt werden muss, legt man ein großes Wasserkissen oben drauf und die Sache löscht sich selbst. Nur selten geht mal was zu Bruch. Die Leute hier haben viel Übung und Erfahrung.

Und doch schlummert noch einiges in der Erde hier. Manche Orte sind von Karten der Alliierten bekannt und es wird nur geborgen, wenn Gefahr besteht. Erdstöße sind zum Beispiel eine Bedrohung. Wenn man bedenkt, dass wir im Ruhrgebiet wohnen, wo die Erde nach langer Zeit der Unterhöhlung immer mal gern in Bewegung gerät, möchte man gar nicht weiter fragen.

Vor ein paar Wochen ist in Hessen so ein Teil ohne Vorwarnung mitten auf dem Acker explodiert. War zwar nicht im Pott, könnte aber auch hier mal passieren.

Aber es gibt auch einige Blindgänger, die in Vergessenheit geraten sind. Manchmal erinnert sich dann doch wieder jemand und das Budeln geht los. So auch vor ein paar Jahen im Park um die Ecke. Wochenlang war ein Bagger auf der Spielwiese unterwegs. Gesperrt wurde nichts, bis es eines Tages "Pling" machte. Dann ging es schnell.

Ich war gerade nach einem bescheidenen Tag nach Hause gekommen, sprang in etwas Bequemes, machte die Terrassentür auf und hörte wie die Polizei per Lautsprecher eine Bombensprengung im Park ankündigte. Und man möchte bitte sofort die Wohnung verlassen. Ein Blick nach vorn aus dem Fenster: Nachbarn mit Koffern, Kindern und Haustieren suchten das Weite. Sie hatten wohl den Voralarm mitbekommen. Ich nicht.

Ich stand da im Pölter und mein Kopf ratterte: Das sind alles alte Häuser hier. Wenn die Bäume brennen, kommt das locker vom Park hier an. Was nehm ich mit? Fotoalben, Laptop, Sachen für ein paar Tage? Vielleicht ziehst du dir erstmal was an?

Am Ende waren es die Sachen, die ich am Leib trug und mein Portmonnaie. Alles andere zahlt die Versicherung. Gut, Erinnerungen lassen sich nicht ersetzen, aber inzwischen schienen so ziemlich alle Nachbarn weg zu sein und ich wurde etwas nervös. Ich klingelte noch bei zwei Nachbarinnen, von denen ich wusste, dass sie kein Auto haben. Eine wartete auf ihren Bruder, eine öffnete nicht. Also ab zum Auto.

Hier findet man immer nur mit Glück einen Parkplatz. An dem Abend hätte man die freie Auswahl gehabt. Die Straße war leer gefegt. Fehlte nur noch so ein rollendes Buschdings aus den Westernfilmen und das Lied vom Tod. Nichtmal die Vögel trauten sich noch Piep zu machen.

Dann kam doch noch eine Nachbarin angewetzt. Sie wollte eigentlich einfach dableiben, aber dann wurde ihr doch unheimlich. Also machten wir uns auf die Suche nach einem Unterschlupf bei einer Freundin in Bochum und warteten ab. In den Nachrichten gabs recht wenig Infos. Schließlich meldete sich eine andere Nachbarin, die in Hörweite war. Es hatte geknallt. Alles okay, wir können zurück kommen.

Inzwischen konnte man sogar zur Sprengstelle gehen, wo gerade ein ziemlich großes Loch zugeschüttet wurde. Das Ding hatte also doch ganz schön Kraft gehabt.

Eine Nachbarin hier in der Straße hat den zweiten Weltkrieg als Teenager mitgemacht. Sie erinnert sich auch an die Bomben. Nicht viele blieben einfach liegen. Eine ihrer Freundinnen auf der anderen Parkseite starb bei einem Volltreffer. Anderen Nachbarn war eine Tellermine durchs Dach mitten ins Bett gefallen. Der Vater versteckte sie zunächst hinter dem Ofen. Sein Sohn merkte an, das könnte schief gehen. Da vergrub er sie im Garten.

Und so kann man vermutlich verstehen, warum manche Bomben Jahre lang vergessen wurden. Zeugen starben, zogen weg oder verdrängten die ganze Sache, weil sie Schwierigkeiten befürchteten.

Nun war mir ja nichts passiert, aber ich kann mir leise vorstellen, was es heißt von jetzt auf gleich aus seinem sicheren Zuhause raus zu müssen. Nichts mitnehmen können. Und auch wenn ich recht sicher sagen konnte, dass ich wiederkomme. Manche Leute in anderen Ländern können das nicht. Mein Opas und seine Familie konnten das nicht. Sie mussten Tage und Woche weglaufen und haben ihr Zuhause nie wieder gesehen... Meine Oma konnte bis zu ihrem Tod nicht erzählen, was damals geschah. Sie war sieben Jahre alt, als der Krieg endlich zu Ende war. Aber ich habe Bilder der Stadt gesehen, wo sie wohnte. Sie war dem Erdboden gleichgemacht worden.

Den Pott hat es wohl sehr schwer getroffen. Hier wurde bei Krupp die Rüstung unterstützt. Entsprechend heftig wurde die Gegend bombardiert. Es wurden teils sogar Holzgebäude aufgebaut und beleuchtet, um die Angreifer abzulenken.

Eine Nachbarin fasste es später so zusammen: Man ist erst ein richtiger Pottmensch, wenn man mal wegen einer Weltkriegsbombe evakuiert wurde. Ich habs jetzt vier Mal mitgemacht. Ich finde das reicht um als Native zu gelten. Brauch ich nicht noch mal.

Aber letztens musste ich doch schmunzeln. Im Einzugsgebiet meines Pizzalieferanten war eine Sprengung. Hier durften die Leute im größeren Abstand Zuhause bleiben, aber keiner rein oder raus. Und was machen die genialen Menschen? Pizza bestellen... Ich holte gerade mein Abendbrot, als der Chef verzweifelt am Telefon zu erklären versuchte, warum es heute keine Pizza für den Bereich geben wird. Die Kundin knallte den Hörer auf und Toni seufzte reichlich genervt: "Bombenstimmung hier heute, aber echt ey."

Viele Grüße aus Ruhr York

Pottnudel

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