Generation Großmaul

Wenn meine Oma früher sagte: "Zu meiner Zeit hätte es das nicht gegeben", dann musste ich immer grinsen. Heute muss ich das bei dem Satz immer noch, zumindest innerlich. Aber heute kommt er eben nicht  mehr von Oma, sondern gern auch mal von mir.

Ich würde mich zwar noch nicht zu den Greisen zählen, aber auch ich merke schon deutlich, dass nachfolgende Generationen anders ticken, als ich. Und zwar nicht immer auf eine Art, die mir gefällt. Und offensichtlich bilde ich mir das auch nicht ein. Die Zeitungen (und zwar ausdrücklich nicht die Blöd-Zeitung) sind jeden Tag voll von Meldungen von Schlägereien mit Polizei-Beteiligung. Speziell auch hier im Pott. Mindestens ein mal die Woche geistert ein Video durch mein Social-Media-Netz, wo auf die bösen Bullen geschimpft wird, die dann gern bei einer Rangelei o.ä. gezeigt werden.

Ist die Polizei wirklich so gewalttätig geworden? Also mein Gefühl ist da eher, dass aufgrund der deeskalierenden Taktik sich unsere Gesetzeshüter ziemlich oft verarschen lassen müssen. Und ich will hier bewusst nicht die USA als Vergleich ran ziehen, das ist eine andere Geschichte (oder auch nicht?). Aber ich kann das auch mit vielen anderen Ländern vergleichen. Spanien zum Beispiel. Der Auftritt der dortigen Polizei strahlt Dominanz pur aus. Schon als Kind bin ich immer sehr kleinlaut geworden, wenn ich die Policia Local oder Guardia Civil gesehen habe. Und wenn da einer quer schlägt, gibts da auch kein pardon. Ähnlich habe ich die Polizei in vielen anderen Ländern erlebt. In Deutschland hingegen bin ich mit freundlich grinsenden, bunten Ausmalbildern der Ordnungshüter groß geworden. Die Polizei, dein Freund und Helfer. Von Kindesbeinen an. Nicht, dass mir nicht klar war, dass man mit der Polizei keine Späße macht. Aber so Respekt einflößend, wie die Gesetzeshüter in anderen Ländern, kamen mir unsere Beamten nie vor.

Und vielleicht ist das auch schon Teil des Problems. Die Werte, mit denen ich aufgewachsen bin, haben sich deutlich verändert. Freundlichkeit wird heute gern mal mit Schwäche verwechselt. Wer die Muskeln spielen lässt oder an der Ampel seine PS sprechen lässt, ist der Held. Schau euch mal die Trends bei Youtube an. Höher, schneller, weiter, dreister. Nett? Ist der kleiner Bruder von...

Das Jungvolk heutzutage hat endlose Möglichkeiten, im Vergleich zu meiner Generation. Und wir waren auch schon deutlich besser dran, als unsere Eltern oder Großeltern. Aber noch nie war die Welt so schnell, komplex und unstetig. Heute groß werden, ist sicher nicht leicht. Speziell, wenn der Support von Zuhause fehlt und man stattdessen Anerkennung bei Gleichaltrigen sucht. Und sich dann gegenseitig hochschaukelt.

Ich würde gar nicht mal sagen, dass die heutige Elterngeneration keine Werte mehr mitbekommen hat. Dennoch kommt da scheinbar zunehmend nichts mehr beim Nachwuchs an. Gut, ich wohne auch in einer recht speziellen Gegend. Auf dem Land mag das noch ganz anders aussehen. Aber auch BaWü hat so gar nicht mit dem Krawall gestern im Ländle gerechnet. Und trotzdem hat es da gewaltig geknallt.

Nun gehen ja schon seit ein paar Wochen die Videos aus den USA um und die Kids sehen, dass die Cops da auch oft einstecken mussten. Nur, dass es sich da um viele Generationen von massivem Rassismus und Ungerechtigkeiten handelt, die sich gerade entladen. Und Gewalt auch keine Antwort ist. Aber die Kids sehen das und wollen mal wieder cool sein und haben den Bezug zur Sache nicht. Und scheinbar doch auch eine Menge Frust im Bauch.

Denn von dem generellen Verlust an Respekt in der Gesellschaft mal ab. Auch in Deutschland gibt es seit langer Zeit Ausgrenzungen gegen Familien mit Migrationshintergrund. Und die jüngeren Generationen haben schlicht keinen Bock mehr, sich in dem Land, in dem sie geboren wurden, wie Aussätzige behandeln zu lassen. Klar, Integration ist keine Einbahnstraße und es gibt genug, die sich nicht integrieren wollen. Aber auch die Politik hat das Problem seit zu langer Zeit verdrängt. Nun sind Lager entstanden. Und sie erfordern zunehmend die Aufmerksamkeit der Polizei. Besonders dann, wenn rivalisierende Gruppen die Probleme lieber "unter sich" klären wollen. Hier gibt es kulturelle Gräben, die sich mit deutscher Freundlichkeit und Deeskalation nicht mehr lösen lassen. Das muss auch die Polizei erst lernen.

Generell ist es in Deutschland Trend sich von der Masse abzusondern. Denn die Deutschen haben zwar in 2006 einen kleinen Boost in Sachen Nationalstolz bekommen, aber was unsere Großeltern totschwiegen, konnten unser Eltern auch nicht aufarbeiten. Meine Generation wurde mit einer Welle der Aufarbeitung fast erstickt. Aber eine Identität kam dabei nicht zustande. Also sucht man andernorts Zugehörigkeit, nicht nur als Migrant. Man ist Hooligan, Katholik, Influencer und weiß der Henker was. Aber in der Mitte scheint es keine gemeinsame Schnittmenge an Werten und Moral zu geben. Aber genau das macht eine Gesellschaft aus. Und da hilft es auch nicht, deutsche Traditionen kulturell glatt ziehen zu wollen. Integrationsgräben entstehen nicht durch die vorhandene Kultur, sondern wenn man die Hinzukommenden nicht einbezieht. Und durch Verweigerung der Anerkennung der neu hinzukommenden Kultur. 

Dann ist unsere Welt inzwischen auch zum Dorf geworden, weil alle vernetzt sind und Grenzen kaum mehr spürbar. Aber das Netz hat uns auch enthemmt, da wir dort rumtrollen können, wie wir wollen. Und das scheint in die reale Welt abzufärben. Pöbeln, beleidigen, sich schlecht benehmen. Diese Tendenz wächst gefühlt seit Jahren.

Ich bin noch in einer recht ländlichen Region aufgewachsen. Wenn wir Mist gemacht haben, wusste jeder aus welchem Stall wir kamen. Das war schon definitiv eine regulierende Situation. Aber auch, wenn man uns nicht kannte. Gut, an Gott hab ich nie geglaubt, aber man wollte doch durchaus zeigen, dass man aus gutem Hause kam. Ich glaub, das ist mir heute früh erst bewusst geworden. Hört sich jetzt vielleicht doof an, aber ich habe "Unsere kleine Farm" geschaut. Ja, sehr schmalzige Serie, aber auch sehr nostalgisch. Jedenfalls gab es da eine Szene, in der Laura von ihrer Mutter aufgefordert wird, sich für eine Missetat zu entschuldigen. Und es lodert in dem Mädchen, sie will das nicht tun. Aber sie tut es, denn sonst würde es auf ihre Mutter zurück fallen, die sie sehr respektiert und niemals schlecht dastehen lassen würde.

Und da dachte ich so bei mir. Wie ist das mit den randalierenden Gören? Fürchten die nicht, was ihre Eltern von ihnen denken? Oder finden die Eltern es vielleicht gar nicht mehr schlimm, wenn ihr Nachwuchs sich vor Gericht verantworten muss? Oder fehlt es heute einfach an so moralisch erhobenen Zeigefingern? Von den Kardashians und diesen Möchtegern-Rappern, lernen die Kids solche Sachen ja eher nicht.

Ich wusste damals genau, was mir geblüht hätte. Auch ohne TV-Erziehung. Allein deshalb wäre ich nie auf die Idee gekommen, Steine auf Polizisten zu werfen. Oder auf sonst jemanden. Das war mir schon im Kindergarten erklärt worden, dass man so etwas nicht tut.

Aber gut, bei mir war es ja auch noch der Freund und Helfer. Die Kids sehen im Netz heute vermeintliche Übergriffe der Ordnungsmacht. Weil kaum einer gelernt hat, Gesehenes zu hinterfragen. Denn dann würde man nicht selten auch das ungeschnittene Video finden, wo sich eben jene Polizisten beschimpfen, bespucken und bewerfen lassen müssen, bevor sie dann durchgreifen. Nicht selten wird es auch als cool angesehen, sich mit der Polizei zu battlen. Der Kumpel filmt mit und setzt es ins Netz. Die Polizei wird zum Sparringspartner für durchgeknallte Halbstarke.

Bis einer heult.

Und dann ist es die böse Polizei, die gegen Linke oder Ausländer oder was auch immer für eine Gruppe ist. Denn es ist so verdammt einfach auf Opfer zu machen in unserem Land. Denn wenn dann noch einer was sagt, sind das alles gleich Nazis. Und schon zucken alle zusammen.

Generell ist die Forderung nach dem individuellen Recht und Wohlbefinden heute etwas, was zum Teil schon in perverser Form erzwungen wird. Die Gemeinschaft oder Rücksicht auf andere sind den Egomanen egal. Hauptsache ich, ich, ich!

Ich kann auch nicht beurteilen, wie viele Polizisten rechtes Gedankengut haben oder einem Clan nahe stehen oder Drogen nehmen oder ihre Frau schlagen. Schwarze Schafe gibt es überall. Aber vor allem ist unsere Polizei der Prügelknabe für die Dinge, die in unserer Gesellschaft schief gehen. Denn sie setzen Gesetze nur durch. Wo keine sind, ist keine Handhabe. Wo die Politik die gesellschaftlichen Probleme ignoriert und nicht handelt, muss die Polizei es ausbaden. Und wo zunehmend kein Respekt mehr vorhanden ist, muss auch schon mal härter zugegriffen werden. Die Polizei hat das verdammt Recht Personen zu kontrollieren. Und wenn die Polizei sagt: "Stehen bleiben", ist das verdammt nochmal keine Aufforderung zum Ringkampf.

Herr Seehofer sprach heute ganz im Stile seiner Generation von harten Strafen als Erziehungsmaßnahme. Und ich bin auch kein Fan von Abenteuer-Pädagogik, aber das Ziel kann es nicht sein, zu warten bis es kracht und die Aggressoren dann weg zu sperren. Zumal die Angst vor Strafe ja auch zunehmend nicht mehr da ist. Wer so richtig cool sein will, muss mal gesessen haben.

Die Ursachen für die Probleme müssen endlich mal ehrlich benannt werden und dann kein Fingerpointing, sondern anpacken. Sonst wird sich die gesellschaftliche Situation nicht ändern. Zumindest nicht zum besseren.

Deutschland ist ein Schmelztiegel. Und ich finde das gut. Aber es muss uns auch gelingen gemeinsame Werte und Regeln zu haben. Etwas auf das wir alle stolz sein können und gemeinsam bewahren wollen.

Und dann malen die Kids vielleicht auch lieber wieder freundliche Bilder von Polizisten, anstatt ACAB an die Wände zu schmieren.

Viele Grüße aus Ruhr York

Pottnudel

PS: Bei aller Meinungsfreiheit und freier Presse und so. Auch der Journalismus kennt Grundwerte. Und wer Menschen, die ihren Job machen, auf den Müll werfen will, muss sich über das Echo nicht wundern. Auch wenn man selbst Opfer von Rassismus wurde. Man kann nicht nach Veränderung rufen und dann selbst das tun, wofür man andere verurteilt. Auch hier zitiere ich gern nochmals meine Oma. Was du nicht willst, das man dir tu...



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