Der Zahn der Zeit

Da hätte ich doch fast verpasst, dass ich alt werde.

Heute früh erhob ich mich vom Krankenbett, wo mich eine Bazille seit zwei Tagen gefangen hielt. Nach der Dusche kämmte ich mir die Haare vor dem Spiegel und die Morgensonne fiel auf meinen Scheitel. Und ich denk mir so: Witzig, meine Strähnen wachsen ja total ungleich raus.

Ein Mississippi
Zwei Mississippi
Drei Mississippi

Ja, mein Gehirn ist noch etwas vom Fieber verbrannt. Aber dann nachte es doch noch Klick. Und so rückte ich etwas näher an den Spiegel um den Beweis aus der Nähe zu sehen. Ich habe graue Haare bekommen. Und zwar nicht nur so hier und da eins. Ich habe graue Strähnen!

Gut, aus meinen Augenbrauen eliminiere ich schon seit einer Weile einzelne farblose Haare. Aber bisher hatte  mir meine Friseurin immer noch versichert, dass ich nur ganz vereinzelt hier und da ein graues Haar auf den Kopf habe. Da ich die Haare meist zurück gebunden habe und meiner Frisur an sich nicht so viel Aufmerksamkeit schenke, war es mir wohl glatt entgangen. Und nun sehe ich es mit bloßem Auge.

Erst hab ich über mich gelacht, dann wurde mir etwas komisch. Okay, graue Haare sind nicht unbedingt ein Indikator für Alter. Ein Freund von mir war mit 23 Jahren schon sehr grau an den Schläfen. Und ich selbst hatte schon so manches Mal vollmundig erklärt, dass ich gern irgendwann so einen richtige schönen weißen Bob haben möchte. Aber da war irgendwann auch noch weit weg.

Wenn man dann aber so nach und nach nicht nur merkt, dass die Knochen morgens nicht mehr so leichtläufig aus dem Bett kommen, man durchzechte Nächte nicht nur nicht mehr so leicht wegsteckt, sondern man sie sogar eher vermeidet, dann kann man dass noch entschuldigen, dass man die Sturm- und Drangzeit langsam hinter sich gelassen hat.Aber dann gehen die Falten auch plötzlich nicht mehr mit einer Gesichtsmaske vom Discounter weg. Und mein Haaransatz war auch schon mal weiter vorn, denn meine Harry-Potter-Narbe liegt inzwischen frei. Oder ist meine Haut einfach nur ausgeleiert? Auch nicht besser. Und dann denkt man doch glatt so manches Mal: "Die Jugend von heute. Wir hätten uns so etwas nicht erlaubt".

Und dann muss ich immer lachen. Ich bin doch noch gar nicht so alt?

Denn wenn ich mich dann so im Spiegel ansehe, steht da immer noch jemand mit Jeans, Turnschuhen und vorzugsweise grellbunten Sweatshirts. Gern auch mal etwas mit Mickey Mouse oder so.  Also wenn ich nicht gerade ins Büro muss, da muss ich ja erwachsen aussehen. Aber das ist der Teil des Erwachsenseins, den ich schon vor einigen Jahren schlucken musste, um meine Ziele zu erreichen. Die aber vorwiegend dazu dienen mir coole Klamotten und viele Reisen leisten zu können. Ich Kommerz verseuchte Heuchlerin. Und doch lasse ich stets den Rebell durchblitzen. In Form von Snoopy-Socken, die unter meinen Anzughosen hervorlugen. Ich habe so viele Snoopy-Socken, die dürften locker bis zur Rente reichen. Und ich werde sie weiter einsetzen. 😆

Dass die Anzahl der Falten und knirschenden Knochen da inzwischen eher nicht mehr so ins Bild passen, ignoriere ich. Mein Aussehen war mir eh noch nie so wichtig. Aber so manches Mal hab ich mich schon gefragt, ob ich mit 50, 60, 70 immer noch so rumlaufen werde. Ich hoffe es. 😁

Inzwischen sind dann auch die Haare wieder trocken und die grauen Haare vermischen sich mit meinem Straßenköterbraun und meinen gefärbten Strähnen und sind nur noch mit Adlerblick zu sehen. Aber so langsam muss ich mich wohl an den Gedanken gewöhnen, dass sie nun da sind und mehr werden. Bzw. ich muss mir angewöhnen öfter zum Friseur zu gehen...

Viele Grüße aus Ruhr York

Pottnudel

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