Ein neues Jahr

Am Wochenende habe ich mal wieder ein neues Lebensjahr eingeläutet. Kuchen gabs natürlich auch. Beim nächsten Mal ändert sich auch die erste Zahl mal wieder. Irgendwie ein komisches Gefühl. Man sagt ja 40 ist das neue 30 (Blah!) aber mal ganz im Ernst. Wo ist bloß die Zeit geblieben?

Ich war doch gerade noch an der Uni, hab die Nächte durchgetanzt und jede Menge Quatsch gemacht ohne mir viele Gedanken zu machen. Gut, die Partyzeit ist schon länger vorbei und fehlt mir auch nicht. Wobei ich mich noch erinnern kann, wie schuldig ich mich fühlte, als die ersten Male die Couch dem Nachtleben vorzog. Damals noch in männlicher Begleitung, überzeugten wir und gegenseitig, dass wir langsam häuslich werden (Ha!).

Heute stehe ich ganz offen dazu, dass auch wenn es oft Spaß machte, ich nie so das Partytier war. Aber der Gruppenzwang war stärker und man lernt ja auch sonst niemanden kennen. Als ich Anfang zwanzig war, lernte man noch Leute vorwiegend in freier Wildbahn kennen und weniger über das WWW. Das hört sich jetzt tatsächlich so an, als wäre ich steinalt 😁

Aber auch wenn ich mich bis heute manchmal keinen Tag älter als 25 fühle (nachdem alle Knochen nach dem Aufstehen ihren Platz gefunden haben) und ich mich vielleicht manches Mal nicht so benehme, wie es "Erwachsene" tun (sollten?). Ich kann es nicht wegreden, der Zahn der Zeit nagt. Nicht nur an den Knochen und dem Collagengehalt der Haut, sondern auch an den Möglichkeiten.

Mit 25 stand mir die ganze Welt offen (so dachte ich). Um Entscheidungen zu treffen war noch so viel Zeit und auch die Möglichkeiten, dass große Träume in Erfüllung gehen könnten schienen real. Ich konnte ausprobieren und wenn es nicht gut war, ging ich weiter Ich muss dazu sagen, dass ich nie den Masterplan hatte. Eher eine grobe Idee und ich bewegte mich stets vorwärts. Aber mit Ende 20 kam dann der erste Rundumschlag. Ich war damals selbstständig, hatte keine wirkliche Perspektive im Job mehr und wusste inzwischen, dass ich kein Familienmensch bin und somit Heirat und Kinder kein Thema sein würden. Außerdem war aufgrund sehr unglücklicher Umstände nicht nur meine langjährige Beziehung geplatzt, sondern auch mein Studium. Und so stand ich da und fragte mich, ist es das jetzt?

Die Antwort war schnell gefunden, neue Stadt, neuer Job (raus aus der alten Branche), Abendstudium. Für radikale Veränderungen und keine Angst vor Neuem war ich damals bekannt. Mit Umwegen und vielen unerwarteten Fügungen bin ich nun 10 Jahre später Besitzerin eines akademischen Titels, habe Dinge erlebt, die ich niemals geplant hatte. Ich bin viel rumgekommen, habe ein paar Träume erfüllen können und habe speziell in den letzten zwei Jahren gewaltige Gehaltssprünge gemacht. Dabei habe ich auch wertvolle Expertise in meinem Job gemacht und viel über mich selbst gelernt. Am Ende stand die Entscheidung einen neuen Job zu suchen. Ich stehe also nach wie vor alles andere als still und trotzdem ist da wieder diese Stimme im Hinterkopf. Habe ich wirklich das beste aus allem gemacht? Denn wenn ich die Ereignisse mal so durchgehe, viele Dinge haben sich eher zufällig ergeben und waren nicht geplant oder auch nur vorhersehbar. Am Ende war es immer mein Engagement und mein Ehrgeiz, der mir Türen öffnete. Also nicht nur reaktiv. Ich hätte auch planen können ohne Ende und hätte es dann vielleicht nicht geschafft. So kann ich doch eigentlich ganz zufrieden sein?

Beim Käffchen mit einem Lieblingsmensch brachten wir es kürzlich auf den Punkt. Wir sind beide BWLer und haben planen gelernt. Aber auch, dass der beste Plan ins schlingern kommt, wenn er auf die Realität trifft. Flexibilität und Fleiß brachten uns beide recht weit. Wäre das mit einem festen Plan auch so gewesen? Oder hätten wir uns eventuell die Chancen verpasst, die sich uns auftaten? Das was ich heute mache und wie ich dahin gekommen bin, hätte ich schon allein deshalb nicht geplant, weil es sich nicht planen ließ. Und ich hätte die Möglichkeiten auch nicht gekannt, wäre ich nicht jeweils an Ort und Stelle gewesen.

Aber wie geht es nun weiter? Ich bin Ende 30, also habe ich noch gut 30 Jahre bis zur Rente. 30! Drei Jahrzehnte. Das ist unglaublich lang. Und wer weiß, wie die Welt bis dahin aussieht. Aber trotzdem bin ich nicht mehr die viel gesuchte 25-Jährigen mit Master-Abschluss und 10 Jahren Erfahrung. Ich habe Erfahrung, ohja. Aber auch eine eigene Meinung und die Fähigkeit erworben Dinge in Frage zu stellen. Und ein X für ein U kann man mir schon lang nicht mehr vormachen. So langsam kommt aber auch das Gefühl auf, dass die Jahre jetzt wegweisend für die nächsten Jahrzehnte sind. Denn leider leben wir ja in einer Gesellschaft, wo das Alter und günstige Gehälter alles und die Erfahrung nichts ist. Wenn ich als jetzt den neuen Job ca. 5 Jahre durchziehe und es dann nochmal in den Kopf kriege und was Neues starten will, bin ich dann schon zu alt? Und so baut sich bei mir zum ersten Mal das Gefühl auf, dass ich ab jetzt gut planen muss. Und trotzdem weiß, dass sich nichts exakt planen lässt.

Eigentlich sollte ich ja inzwischen aus Erfahrung wissen, dass es immer irgendwie weiter ging. Aber auch die Frage nagt, was wäre gewesen, wenn ich manchmal aktiver gesteuert hätte und geplanter vorgegangen wäre. Auch das Wissen, dass so manches möglich ist, was man sich erst gar nicht vorstellen konnte ist nicht gerade hilfreich in dieser Situation. Denn was, wenn ich einen anderen Weg genommen hätte. Habe ich Möglichkeiten vielleicht nicht erkannt? Und das wird mich wohl immer beschäftigen. Aber es ist ja nun mal nicht so, als wenn ich die Möglichkeit hätte zu vergleichen, was wäre wenn gewesen. Vielmehr führt diese Grübelei dazu, dass ich den Moment nicht genießen kann. Das ständige Denken blockiert mein Bauchgefühl und führt dazu, dass ich nicht mehr so spontan und unbesorgt bin wie früher.

Ist die Quintessenz von allem nun, dass ich halt jetzt erwachsen bin? Oder ist es schon die Midlifecrisis? Trauere ich Träumen nach, die ich vielleicht auch mit aller Planung nie erreicht hätte? Oder schreibe ich mich zu früh ab, weil ich denke meine Möglichkeiten nehmen ab?

Ich glaube, es läuft darauf hinaus, dass ich nicht zufrieden sein kann. Wie heißt es so schön: Ein Traum, der sich erfüllt, bekommt sofort Kinder. Es ist vermutlich egal, wie viel ich erreiche, es wird nie genug sein. Ganz schön nervig sowas... Aber vielleicht auch nötig, denn es hat immer dazu geführt, dass ich nicht stehen bleibe. Und da man ja Ziele nicht planen kann, ist dann wohl der Weg das Ziel? Fragen über Fragen. Antworten dafür gibt es wohl nicht.

Nachdenkliche Grüße aus Ruhr York

Pottnudel

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